Ein Appell an den Qualitätsjournalismus
Gerade in Krisenzeiten unterliegt der Journalismus einer Bewährungsprobe. Insbesondere für den gewissenhaften Journalisten gilt umso mehr: Die Berichterstattung sollte ausgewogen, unparteilich und objektiv sein. Jeder ausgebildete Redakteur bekommt diese unumstößliche Regel spätestens auf der Journalistenakademie eingeprügelt. Und trotzdem scheinen einige Medienvertreter ihr Wissen vergessen zu haben, wenn sie zur Feder greifen. Und sie scheinen zu vergessen, dass die Medien als „vierte Gewalt“ eine besondere Verantwortung in unserer Gesellschaft übernehmen. Denn sie spielen eine wichtige Rolle in unserer Demokratie, wenn sie Staat und Gesellschaft kontrollieren und kritisieren.
Dass diese Grundsätze bei Boulevard-Medien bewusst (viel zu oft) nicht eingehalten werden, ist hinlänglich bekannt. Sorge sollte allerdings bereiten, dass auch viele regionale und überregionale Tageszeitungen, die eigentlich über viele Jahrzehnte als Speerspitze des seriösen Journalismus galten, sich zunehmend dem Boulevard hinwenden. Die seit Jahren meist rückläufige Zahl an Abonnenten und der damit verbundene anwachsende Wettbewerbsdruck könnte die Initialzündung für die Bereitschaft der Medienvertreter sein, ihre Artikel in ein boulevardesques Kleid zu zwängen. Aber auch die zunehmend schnelllebige Kommunikation – etwa auf diversen Social-Media-Kanälen – dürfte ihren Teil dazu beitragen. Dabei verlieren die Medienvertreter nicht selten die Ethik aus dem Blick und stoßen somit ins gleiche Horn wie ein Teil unserer Gesellschaft, der – seit geraumer Zeit – zweifelsohne einem spürbaren Werteverlust unterliegt. Ein ethisch geprägtes Vorgehen ist aber Leitlinie und Maßstab für den qualitativen Journalismus – zwingend!
Der Kommentar als Instrumentarium
Dabei sind es oftmals nicht die Texte der regulären Berichterstattungen, die nicht gemäß den journalistischen Grundregeln verfasst werden. Die Autoren bedienen sich vorwiegend den sogenannten meinungsbetonenden Darstellungsformen wie etwa dem Kommentar, um in besonders reißerischer Manier auf mutmaßliche Missstände in Politik und Gesellschaft aufmerksam zu machen und dabei leider nicht selten Institutionen und Personen diffamieren. Dem Trugschluss erlegen, einer Minderheit – wie z.B. den lautstark protestierenden „Wutbürgern“ – die Stange halten zu müssen, wird in den Kommentaren zuweilen sträflich pauschalisiert oder verschwörerisch anmutende Mutmaßungen werden blindlings in den Raum geworfen.
Ja, es ist richtig, ein Kommentar gibt meist auch die subjektive Meinung der Autoren wieder. Er sollte allerdings nicht dazu missbraucht werden, die journalistische Sorgfaltspflicht zu vernachlässigen. Genau das tut er jedoch, wenn man ihn nicht nach ethischen Grundsätzen des Journalismus formuliert und sich auf Mutmaßungen statt auf Fakten stützt. Es drängt zuweilen der Gedanke auf, dass einige Journalisten die meinungsbetonten Darstellungsformen für ihre eigenen persönlichen Befindlichkeiten und (gesellschafts)politischen Ideologien instrumentalisieren. Die reichweitenstarke Verbreitung ihrer Meinung kann ihnen jedenfalls gewiss sein. Und en passant gelingt dabei noch ein lupenreiner Boulevard-Anstrich des gesamten Mediums.
An Werteverlust erkrankt
Der Qualitätsjournalismus steckt in einer tiefen Krise. Er krankt mit der Gesellschaft, in der leider ein spürbarer Werteverlust um sich greift. Der Qualitätsjournalismus trägt dabei eine schwere Bürde: Er muss sich seiner Rolle als regulierendes Element unseres Staates und unserer Gesellschaft wieder stärker bewusst werden, entsprechend agieren und einen offenen Diskurs über die ethischen Grundsätze im Journalismus anstoßen. Wenn allerdings die selbstregulatorischen Prozesse innerhalb eines Verlages nicht mehr greifen und einzelne Journalisten – bewusst oder unbewusst – ihre handwerklich und manchmal auch politisch fragwürdigen Texte einer breiten Öffentlichkeit präsentieren können, die wiederum ihr Handeln danach ausrichten könnte, dann stehen die Chancen für eine Wiederbelebung des Qualitätsjournalismus unter keinem guten Stern.
Letztlich sind meine Zeilen auch nichts anderes als ein Kommentar, der meine subjektive Wahrnehmung eines mutmaßlichen Aussterbens des Qualitätsjournalismus widerspiegelt. Gleichzeitig hege ich allerdings die Hoffnung, dass er auch als gut gemeinter und konstruktiver Appell verstanden wird, der journalistischen Sorgfalt wieder mehr notwendigen Raum zu geben. So, wie es im Pressecodex verankert ist. So, wie wir es von unseren Mentorinnen und Mentoren in den Redaktionen und Journalistenschulen beigebracht bekommen haben.
Das würde sich nicht nur positiv auf den Journalismus und seine Wahrnehmung innerhalb unserer Gesellschaft auswirken. Sondern auch auf unsere Gesellschaft selbst.
P.S. Ich habe bewusst keine konkreten Beispiele für die “Verfehlungen” anderer Journalisten aufgeführt, um hier niemanden konkret an den Pranger zu stellen. Ich bitte um Verständnis.