IKEAs Definition von Service
Zack, schon wieder brennt eine Glühbirne durch. Die dritte innerhalb von zwei Wochen. Der Verdacht bei meiner Frau und mir liegt nahe: Es muss am Alter der Standleuchten liegen, die bereits seit über 20 Jahren ihren treuen Dienst erwiesen haben. Neue Standleuchten müssen her.
Unsere Recherche führt uns in den Online-Shop von IKEA, wo wir schnell fündig werden. Die Wahl fällt auf VIDJA, 138 cm hoch, Stückpreis 29.99 €. Wir wollen – in Zeiten von Corona, in denen der konsumgesteuerte Rundgang durch die heiligen Hallen des schwedischen Möbelherstellers nicht möglich ist – zwei VIDJA per Click & Collect bestellen und irgendwann in den nächsten Tagen in der Osnabrücker Filiale abholen. Doch die extrem kundenorientierte Servicequalität von IKEA macht uns einen Strich durch die Rechnung.
Denn: Dafür, dass wir die Ware selbst abholen wollen/müssen (da „Versand derzeit nicht möglich“), erhebt IKEA für unsere Bestellung einen sogenannten „Servicepreis“ in Höhe von 10 €. Das war übrigens auch schon vor Corona-Zeiten so. Ist aber nur wenigen Menschen aufgefallen (so wie uns), weil die meisten Kunden den Ekstase verursachenden Shopping-Marathon durch das clever aufgebaute Verkaufslabyrinth bevorzugen. Statt 59,98 € weist unser digitaler Warenkorb nunmehr 69,98 € aus.
Wir spielen in Gedanken das Szenario durch: Die bestellte Ware wird aus dem Lager unkompliziert – zum vorab online vereinbarten Abholtermin – in der IKEA-Filiale bereitgestellt. Keine Montage, keine Beratung. Keine nervigen Kunden, die sich wie Zuhause benehmen und sich in die Betten legen, alle Funktionen ausprobieren und das Personal mit Fragen löchern, die sowieso nur in den seltensten Fällen beantwortet werden können. Leichter lässt sich Umsatz kaum machen. Wir setzen uns ins Auto und fahren aus dem Landkreis Osnabrück ins knapp 40 Kilometer entfernte Gewerbegebiet an der Rheiner Landstraße, um die Ware schließlich in den Empfang zu nehmen. Wie gesagt, das hätte das Szenario sein können.
Weil aber der Durchschnittskunde von IKEA sich bei einem regulären Besuch der IKEA-Verkaufsflächen fast regelmäßig dazu verleiten lässt, seinen Einkaufskorb mit Kerzen und anderen Krimskrams zu füllen, der eigentlich gar nicht auf der Einkaufsliste stand, haben sich die Marketing- und Vertriebsstrategen bestimmt Folgendes gedacht: „Wir sollten uns den Aufwand den wir nicht haben, aber der Kunde durch den Einkauf bei uns hat, zusätzlich entlohnen lassen! Lasst uns den Service, den die Kunden uns bieten, indem sie die Ware direkt bei uns abholen und nicht die Beratung vor Ort in Anspruch nehmen, mit einem Servicepreis vergolden!“ Positiver Nebeneffekt: Somit kompensiert das Unternehmen gleichzeitig den ausbleibenden Umsatz durch nicht verkaufte Teelichter und Duftkerzen, Batterien, Kleiderbügel und 1-Euro-Handtüchern. Diese verblüffende Verkaufsstrategie führt im Übrigen auch dazu, dass die Umsatzsteigerung beim Verkauf einer duftneutralen Blockkerze für 1,29 Euro satte 900 Prozent beträgt. Clever.
Von so viel Cleverness und Logik geblendet, haben wir ganz “vergessen”, den Bestellvorgang fortzuführen. Aber: Heute verkündet meine Frau Vollzug. Mittlerweile ist der Versand der Standleuchten wieder möglich. Kostenpunkt: 4,95 € (Versandpauschale). Letztlich müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, doch in die Konsumfalle getappt zu sein. Trotzdem wird es die IKEA-Strategen womöglich ärgern, dass sie nun den Service erbringen müssen, die Ware für den Versand vorzubereiten. Für einen deutlich schmaleren Kurs als bei der “Click & Collect”-Variante.
Jetzt müssen die Standleuchten den Versand nur noch unbeschadet überstehen. Wie manche Paketzusteller die Lieferungen behandeln, ist mittlerweile bekannt. Das ist allerdings ein ganz anderes Servicethema …