Ein ehemaliger Kollege hat mir eine Nachricht geschickt: “Daniel, pass gut auf Dich in Rio auf. Besonders wegen der Frauen!” Als ob er geahnt hätte, wem ich unter anderem in der Stadt des Karnevals treffen würde. Aber, wie immer, fangen wir mal von vorne an.
Mein zweiter Gastgeber in Rio heißt Ramon. Als ich bei ihm ankomme, weiß ich sofort, woher der Wind pfeifft, schließlich macht er aus seiner Homosexualität keinen Hehl. Auch nicht aus seiner Sympathie mir gegenüber. Er wohnt in einem Haus, bei dem alle Nachbarn ein sehr freundschaftliches Verhältnis zueinander pflegen. Innerhalb einer Stunde lerne ich ungefähr ein Dutzend neuer Menschen kennen, die den Couchsurfer aus Deutschland gerne kennenlernen möchten.
Seit einer Woche wohnt auch Samia bei Ramon. Die gebürtige Marokkanerin ist mit lediglich 80 Euro nach Rio gekommen und möchte noch einmal “ganz von vorne anfangen und Liebe in die Welt hinaustragen”, wie sie sagt. Geld verdient sich die junge Reisende unter anderem mit “Heiße-Steine-Massagen” (kann mir mal jemand den Fachbegriff nennen? Ist ja ein schreckliches Wort). Nun ja, das Sofa ist besetzt. Da aber alle Nachbarn eh befreundet sind, schlafe ich diese Nach bei Fernanda, die mir bereitwillig eine Schlafstätte zur Verfügung stellt. Doch nicht bevor ich mich an der Küchenwand von Ramon verewigt habe. “Es ist mir eine Ehre, dass ich Dein Gastgeber sein darf”, sagt er. Naja, ein außergewöhnlicher Wunsch. Aber ich komme ihm nach…
Der nächste Tag beschert mir dann das Treffen der besonderen Art. Ihr Name ist Rita und sie wohnt etwas außerhalb von Rio, direkt an der Küste. “Beeil Dich”, sagt sie mir noch am Telefon. “Dann können wir beide noch schnell in den Pool springen und das gute Wetter ausnutzen.” Leider muss ich ihr zunächst einen Korb erteilen, weil ich am Nachmittag (Ortszeit) ins Internet will, um mit meinem Sohn zu korrespondieren. Da dies aber wieder einmal aus diversen Gründen nicht funktioniert, habe ich Zeit um ins kühle Nass zu springen. Das erste Mal genieße ich tatsächlich die freie Zeit. Und dann auch noch in so charmanter Begleitung.
“Heute Abend sind wir auf der Gästeliste eines der berühmtestens Clubs in Rio”, sagt sie mir dann. Ramon hatte mir schon davon erzählt. Ach, ich vergaß. Ramon und Rita sind beste Freunde – daher die Verbindung. Also schwinge ich am Abend tatsächlich auch noch das Tanzbein, obwohl ich am Ende meiner Kräfte bin.
Am nächsten Morgen versucht mich Rita zu überreden: “Bleib doch hier. Ein Tag ist doch viel zu wenig. Wir sollten uns näher kennenlernen!” Ich gebe ihr recht und würde nur allzu gerne eine Ausnahme machen. Aber ich bleibe hart, bleibe beim Prinzip: Jede Nacht ein neuer Gastgeber. Es hat aber auch einen anderen Grund. Schließlich wird Kalina meine nächste Gastgeberin sein. Ich kenne die Brasilianerin aus Deutschland. Und da wir beide zur gleichen Zeit in ihrem Heimatland sind, hat sie mich kurzerhand eingeladen, mit im Hotel zu bleiben. Selbstverständlich möchte ich nicht in letzter Sekunde absagen. Zumal sie eigens aus dem Norden dafür angereist ist.
Kalina und ich erkunden überwiegend zu Fuß Teile Rios und finden dabei viel Zeit für ausführliche Gespräche, bei dem ich sehr viel über Brasilien lerne. Zum Beispiel warum große Käfer (deren Namen ich leider schon wieder vergessen habe) ein schreckliches Geräusch machen – es ist wirklich sehr laut und schrill: “Sie schreien, bis ihnen die alte Haut vom Leib abplatzt”, erklärt mir Kalina. Wow, das nenne ich mal eine Energie.
Außerdem fahren wir mit dem so genannten “Bondinho”, einer kleinen Straßenbahn hinauf nach Santa Teresa. Eine abenteuerliche und nicht unbedingt ungefährliche Fahrt, wenn man nicht gerade auf den Bänken Platz nimmt. Und heute Nachmittag entführt sie mich an den Strand von Flamengo, wo ich mit Einheimischen noch eine Partie “Fußvolleyball” spiele – bis ich mich an einem Hering imSandboden den Fuß verletze.
Kalina ist es auch, die mich auf eine besondere Idee bringt. Zunächst will ich meinen Schlafsack im Hotel lassen, weil ich von meinem Sponsor Bergfreunde.de ohnehin einen neuen Schlafsack geschickt bekomme, aber sie sagt: “Warum verschenkst du ihn nicht auf der Straße?” Gesagt, getan. Wir finden am Strand von Flamengo einen Obdachlosen. Sie fragt ihn, ob er einen Schlafsack gebrauchen könne. Er schaut mich an und sagt: “Hey, meu Tio. Voce caiu do Ceu!”, was soviel heißt wie “Hey, Onkel. Du bist vom Himmel gefallen.” Wir würden wohl eher sagen “Dich schickt der Himmel”. Ich bin den Tränen nahe, sehe ich doch, wie sehr er sich über das unverhoffte Geschenk freut. Wir machen noch ein Erinnerungsfoto (das ich aber an dieser Stelle nicht zeige, weil ich den Mann nicht zur Schau stellen möchte) und ziehe weiter. Was für ein herrlicher letzter Tag in Rio.
Ich habe wieder viele Menschen kennengelernt. Viele werde ich nicht wiedersehen. Andere aber ganz bestimmt. So wie Rita. Irgendwann. “Kommst du bald wieder”, fragt sie mich bei unserem Abschied. Ich denke nach. Brasilien wäre tatsächlich ein idealer Ort, um das Buch dort zu schreiben. “Vielleicht”, sage ich und bin eigentlich in Gedanken schon bei meinem Sohn Liam, den ich so bald nicht noch einmal für 80 Tage nicht um mich haben möchte. Aber wie gesagt, Rita sehe ich wieder. Irgendann, irgendwo.
Besten Gruß vom Flughafen in Rio de Janeiro. Auf meinen Flieger nach Deutschland wartend. Im Flugzeug werde ich sicher Zeit für einen neuen Blogeintrag zum Abschluss dieser Reise haben. Übrigens, Termin für Buchveröffentlichung steht noch nicht fest und dieser Blog wird noch für lange Zeit Bestand haben (@Stange: Also keine Angst, ich habe noch einen Haufen Themen, die ich noch nin der Schublade habe, aber noch nicht wirklich nutzen konnte).
Daniel