Titel: Wenn Verantwortung zum Wirtschaftsfaktor wird
Projekt: Feature für die K-Zeitung
Firma: Syntech Plastics GmbH
Funktion: Head of Marketing & Communications
Wenn soziale Verantwortung zum Wirtschaftsfaktor wird
Spritzgussunternehmen Syntech Plastics macht aus der Not eine Tugend
Seit nunmehr einigen Monaten kämpfen viele Branchenteilnehmer in der Spritzgussindustrie um das nackte wirtschaftliche Überleben. CORONA schlägt in diesem Sektor besonders hart zu. Gut beraten sind in diesen schwierigen Zeiten jene Unternehmen, die aus der Not eine Tugend machen und flexibel reagieren können. Trotz Kurzarbeit. Trotz Mangel an Aufträgen.
Im niedersächsischen Steinfeld steht so ein Betrieb: Syntech Plastics. Geführt von drei Brüdern. Und seit der Firmengründung vor knapp 17 Jahren im stetigen, organischen Wachstum. Aus einer kleinen Unternehmung mit vier Mitarbeitern und zwei kleinen Spritzgussmaschinen, hat sich in den vergangenen Jahren eine Produktionsstätte geformt, die über 100 Mitarbeiter beschäftigt und 34 hoch moderne Spritzgießmaschinen umfasst – mit Schließkräften von 6 bis 1.500 Tonnen. Im Großmaschinenbereich fertigen sie Bauteile für das Wassermanagement im Automobil mit Funktionsintegration aus Hartkomponenten inkl. Dichtungen (2 K-Spritzgusserfahren). Somit gehört Syntech zu den wenigen Spritzgussbetrieben in Europa, die hoch komplexe Bauteile für die Automobilindustrie herstellen.
„Mit unseren Kapazitäten können wir einen großen Teil der Anforderungen verschiedener Industriezweige an uns erfüllen “, betont Cüneyt Karaoglu, Geschäftsführer und der älteste der drei Firmenlenker. Er fügt hinzu, dass im Jahr 2019 mit der Sauberraumfertigung gestartet wurde. So stelle man sich für die aktuellen Forderungen der Automobilindustrie – Bauteile mit höchsten Anforderungen an Genauigkeit, Präzision oder auch sauberste Verarbeitung und entsprechendem Warenverkehr bis zum Kunden – auf. Diese Bauteile kommen in der Getriebetechnik und Elektromobilität zum Einsatz. Der Sauberraum ist auch für die Herstellung von Produkten für die Lebensmittelindustrie ausgelegt. Allerdings betrachtet Syntech dieses nur als Zwischenschritt für die ständige Weiterentwicklung. Die Anforderung an das Unternehmen und deren Fertigungsmethoden wird hauptsächlich von ihren Kunden aus den unterschiedlichsten Bereichen und deren Anforderungen definiert. Doch die breit aufgestellte Fertigungspalette kann Syntech nicht vor den gravierenden Einschnitten bewahren, die mit dem Beginn der Corona-Krise einhergehen.
Denn, bleiben die Aufträge von den namhaften Automobilherstellern und diversen anderen Großkunden aus, steht ein Teil der insgesamt 34 modernen Spritzgussmaschinen still. „Es war relativ schnell klar, dass wir Kurzarbeit anmelden mussten“, sagt Karaoglu im Gespräch mit der K-Zeitung. Gemeinsam mit ihrem Team überlegt die Familie, wie sie die Notlage meistern können. „Wir haben uns vor allem gefragt, wie wir mit unserem Unternehmen unserer sozialen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerecht werden“, betont der 46-jährige Geschäftsführer. An dieser Stelle betonen die Brüder, wie dankbar sie für die Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern sind.
Noch während sie über mögliche Lösungen grübeln, erwähnt Karaoglus Tochter, die bei einem ortsansässigen Arzt arbeitet, dass ein eklatanter Engpass an Schutzmasken herrsche. Kurzerhand setzt Cüneyt Karaoglu alle Hebel und Kontakte in Bewegung, um weltweit 2.000 medizinische Gesichtsschutzmasken zu bestellen. Für den Arbeitgeber seiner Tochter, weitere Praxen in der Region und nicht zuletzt für die eigenen Beschäftigten. Die Beschaffung erweist sich für ihn allerdings als besonders große Herausforderung. Der internationale Markt für kurzfristig lieferfähige Artikel scheint zu dem Zeitpunkt bereits wie leergefegt.
In diesem Zusammenhang fällt Entscheidung auf die Fertigung eines so genannten Gesichtsschutzes mit Visier. Denn, die Halterung für das Visier lässt sich relativ unkompliziert herstellen. Andere Gesichtsschutzmasken unterliegen strengen Zertifizierungsregeln und Prüfungsprozessen, die mitunter mit langwierigen Genehmigungsverfahren verbunden sind. So lange kann und will Syntech nicht warten. Das Unternehmen möchte unmittelbar Hilfe leisten. Die Karaoglus scheuen keine Kosten, um Konstruktion und Bau eines entsprechenden Werkzeuges zu veranlassen. „Den Auftrag für den Werkzeugbau haben wir an ein Unternehmen in unmittelbarer Nähe vergeben“, betont Karaoglu.
Die Entwicklung des Werkzeuges erfolgt im Eilverfahren und mit Unterstützung der Anwendungstechnik von MLPlastics in Hamburg. Gemeinsam werden auch die für die Anwendung zugeschnittenen Materialien für das Gesichtsschild definiert. Für das Kopfband hat man sich für ein TPE-S von Hexpol TPE entschieden: ein SEBS-Compound mit hohen Dehnungs- und Festigkeitswerten sowie ausgezeichnetem Rückstellvermögen. Ein niedriger Reibungskoeffizient sorgt dafür, dass das Band über den Kopf gezogen werden kann, ohne am Haar zu kleben.
Für den Gesichtschildträger kommt mit SIPOLPRENE® 72220, ein TPC-ET der italienischen Firma Sipol SpA, zum Einsatz. Ausschlaggebend sind hierfür u.a. die Haptik des physiologisch unbedenklichen Materials sowie Sterilisierbarkeit und Anpassung an die individuellen Kopfformen. Für die Fertigung verwendet Syntech eine Spritzgussmaschine mit einer Schließkraft von 160 Tonnen. Diese steht in einem Reinraum, der – durch eine Feinstaubabscheidung in klimatechnischen Systemen mit hoher Luftreinheit – die Mindestanforderung als Filterklasse der Hygieneverordnung VDI 6022 erfüllt. Die Zykluszeit beträgt 32 Sekunden. Mithilfe eines Roboters werden die Bauteile aus dem Werkzeug entnommen und aufs Förderband abgelegt.
Mit der Fertigung des Gesichtsschutzes – der sich u.a. für Fachkräfte im pflegerischen Bereich, Fachkräfte im medizinischen Bereich, aber auch für viele andere Anwendungsbereiche (Personal im Groß- und Einzelhandel, auf Behördenstuben, Apotheken, etc.) eignet – wird Syntech keinen Profit machen. „Wir können und wollen uns nicht am Leid anderer bereichern“, betont der Kopf des Familienunternehmens. Zehntausend Exemplare werden deutschlandweit als Spende an Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen zur Verfügung gestellt. Da dieses nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“ ist, versucht Syntech in Zusammenarbeit mit dem Materiallieferant, der ML Plastics Hamburg, die Menge der zu spendenden Visiere zu erhöhen.
Der Weg bis dahin, war kein leichter, konstatieren die Brüder. Sie mussten die finanziellen Rücklagen anfassen, saßen nächtelang an der Konstruktionsarbeit und Bemusterung und mussten nicht zuletzt viel Überzeugungsarbeit bei allen Projektbeteiligten leisten. Denn, nicht bei jedem sei der caritative Gedanke so gefestigt gewesen, wie etwa bei der Syntech-Belegschaft. „Wir mussten deswegen leider ein paar potenziellen Lieferanten für die Visiere, die wir dazukaufen, eine Absage erteilen“, bedauert Karaoglu. Sie hätten entweder exorbitant hohe Phantasiepreise aufgerufen oder unzumutbare Lieferzeiten angeboten, zugunsten anderer lukrativerer Aufträge. Die Problematik stelle sich heute nicht mehr, da Syntech für die Visiere ein eigenes Stanzwerkzeug bauen ließ und der Gesichtsschutz nunmehr zu 100 Prozent aus Eigenproduktion stammt – zudem mit dem begehrten Label „Made in Germany“.
Alles in einem, sehen sich die Spritzgießer aus Steinfeld in ihrem Vorgehen bestätigt. Man verdiene zwar nicht an der teilweisen, temporären Umstellung der Produktion. Zeit, Geld und Schweiß seien allerdings eine sehr gute Investition in dieses Hilfsprojekt. Denn, Syntech beweist einmal mehr Flexibilität und Leistungsfähigkeit. Der Familie und ihren Mitarbeitern dürften bei diesem Projekt vor allem zweierlei Dinge gefallen: die Gewissheit, als Unternehmen seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden und gleichzeitig einen wertvollen Beitrag zu leisten, um der weiteren Verbreitung des Virus entgegenzuwirken.