“In Afrika bist DU der schwarze Mann”

Okt 9, 2009Allgemein

Wir schreiben den 7. Oktober 2009. Ich sitze in einem Hotel in Dakar in der Nähe des Flughafens. Und ich bin voll im Eimer. Ich schwitze, es mögen vielleicht 35 Grad Celsius in meinem Zimmer sein. Die Flugzeuge donnern über mich hinweg. Diese Stadt in Senegal und viele ihrer Einwohner stellten mich heute den ganzen Tag auf meine erste harte Bewährungsprobe. Es war aber auch ein Trip mit vielen angenehmen Begegnungen. Aber fangen wir mal von vorne an.

Als ich in Lissabon das Flugzeug betrete, strahlen mich zwei Augen an. Es ist Sofia. Die Stewardess hatte mich schon auf dem Flug von Paris nach Lissabon betreut, bei dem ich das Glas Weißwein dankend wieder zurückgegeben habe, da mir der Wein einfach zu stark nach Essig schmeckte. „Heute probiere ich mal den portugiesischen Rotwein an Bord“, sage ich. Sie muss lachen. Ihre Kollegin schaut ein wenig verdutzt und bekommt von Sofia prompt die Erklärung zu dieser Situation (zumindest kommt es mir so vor). Später wird Sofia sich noch für ein Foto in Pose setzen – nicht bevor sie sich noch eine Viertelstunde auf dem WC „frisch gemacht hat“, wie sie sagt. Dabei (also beim Fotomachen, nicht beim Frischmachen) kommen wir ins Gespräch und ich erzähle ihr von meinem Projekt. „Oh, Sie haben einen Blog? Ich auch“, sagt sie und tut, was sie immer tut. Sie lächelt.

Mitten in der Nacht, gegen 1.30 Uhr, erreiche ich Dakar. Der Schritt aus dem klimatisierten Flugzeug hinaus in die heiße und schwüle Wüstennacht fällt mir nicht leicht. Die Hitze baut sich wie eine unsichtbare Mauer vor einem auf. Muss ich da wirklich raus? Ja, ich muss. Die Odyssee durch Dakar beginnt bereits bei der Passkontrolle. Ich solle die Adresse angeben, bei der ich unterkomme. Die Adresse weiß aber nur mein Kontakt, der hoffentlich draußen vor dem Flughafen auf mich wartet. Egal, die Adresse muss her, der Pass bleibt solange beim Grenzkontrolleur. Ich hechte also vor den Flughafen ohne kontrolliert zu werden und suche nach meinem Namensschild. Und da stehen sie, Bass und Alieu. Es bleibt keine Zeit für eine ordentliche Begrüßung. „Ich brauche eine Adresse“, sage ich. Alieu verdreht die Augen. Erst denke ich, er fühlt sich bereits in der ersten Minute unserer Begegnung von mir genervt. Später wird mir bewusst, dass er damit seinen Unmut über die Schikanen der Grenzkontrolleure zum Ausdruck gebracht hat. Er schreibt mir eine Adresse auf. Ich laufe also wieder zurück ins Flughafengebäude ohne auch nur ansatzweise kontrolliert zu werden und übergebe den Zettel mit der Anschrift. Kaum zu glauben, aber der Grenzbeamte schenkt den Zeilen auf dem Papier keine Beachtung, innerhalb Sekunden überreicht er mir meinen Pass mit den Worten „You can go now!“ Danke für die herzliche Begrüßung.

Nachdem ich dann endlich mit vollständigem Gepäck vor den Flughafen trete, fällt die Begrüßung wesentlich herzlicher aus. „Willkommen in Dakar“, sagt Bass in gebrochenem Deutsch. Seine Frau Sabine stammt aus Deutschland und arbeitet in Frankreich als Übersetzerin – zusammen mit meinem Freund Erec, der mir über Umwege den Kontakt vermittelte. Bass hat die vergangenen zwei Monate bei seiner Familie in Senegal verbracht. Mittlerweile ist es weit nach 2 Uhr nachts und mich plagt ein wenig das schlechte Gewissen. „Ich hoffe, es ist kein großes Problem, dass ihr mich so spät noch abholen musstet“, sage ich. Nein, es sei kein Problem, sagt Alieu, der an der Universität in Dakar doziert. Er habe ohnehin noch frei. „Do you want something to drink?“, fragt er mich. Naja, wenn ich ehrlich bin, bin ich schon recht durstig. Die Hitze hat mir schon in den ersten Minuten stark zugesetzt, aber ich versuche höflich darauf hinzuweisen, dass ich Alieu und Bass die Entscheidung überlasse. Wir landen schließlich in einer kleinen Bar, wo mir die ersten beiden afrikanischen Biere in die Hand gedrückt werden. Was soll ich sagen? Nachdem ich in den meisten Regionen außerhalb Deutschlands (Israel, Irak, Türkei, Balkan) eher abschreckende Erfahrungen mit dem Genuss inländischen Gebräus gemacht habe, gehört das senegalesische Bier „Flag“ absolut zu den Überraschungen. Es schmeckt wirklich gut.

Einen ersten „Dämpfer“ bekommt mein Projekt allerdings als wir das große Haus von Alieu betreten. Keine Couch! Ich werde mich mit einem Bett begnügen müssen. Genauso wie in der heutigen Nacht in diesem Hotel. Das ich aufgesucht habe, weil ich mich um 4 Uhr morgens wieder auf dem Weg zum Flughafen mache, um meine nächste Couch in Johannesburg aufzusuchen. Naja, was soll’s. Zumindest verbringe ich jede Nacht bei einem anderen Gastgeber und der Hotelbesuch soll ja auch wirklich nur die absolute Ausnahme sein.

Nach drei Stunden Schlaf stehe ich schon wieder auf den Beinen. Bass und ich wollten uns schon um 8 Uhr auf den Weg ins Hotel machen, um mein Gepäck dort zu deponieren. Beim Frühstück sagt er plötzlich: „Vielleicht wird uns Nina begleiten.“ Nina? Das klingt deutsch, denke ich. Tatsächlich, Nina ist Bass’ Nichte aus Berlin. Sie ist nur wenige Stunden vor mir am Flughafen angekommen und übrigens das gleiche Problem mit der Adresse. In ihrem Fall hat Bass aber einfach eine falsche Adresse notiert. „Das interessiert hier sowieso keinen. Deswegen nehme ich es auch nicht so ernst“, sagt Bass. Nun, ich muss schon sagen, dass ich über die Nachricht mit Nina überrascht war, hatten es doch weder Bass noch Alieu bei meiner Anreise erwähnt. Also machen wir uns zu Dritt auf den Weg zum Hotel, danach in die Innenstadt. Ein wahrer Spießrutenlauf!

Ich fühle mich an die Worte meines Pariser Gastgebers Karim erinnert. Der sagte: „Vergiss nicht, in Afrika bist DU der schwarze Mann!“ Er sollte recht behalten. Nina und ich fallen auf wie bunte Hunde. Von allen Seiten belagern uns Senegalesen, die uns Telefonkarten, Textilien, Schuhe oder Souvenirs verkaufen wollen. Einige rücken uns dabei dicht auf die Pelle. Ich gebe Nina den Rat, sie solle ihr Portemonnaie gut festhalten und wenn jemand zu aufdringlich wird, ruhig laut werden. Dass das gut funktioniert, habe ich schon in anderen Ländern beobachtet. Als Nina für sich eine Telefonkarte kaufen will (sie bleibt für die kommenden sieben Wochen im Zuge einer Studienarbeit in Dakar), bemerken wir, dass sie die falsche Währung mit sich führt. Ein Bekannter hatte ihr das Geld in Berlin besorgt. In vielen Nachbarländern Senegals würde sie damit problemlos einkaufen können. In Dakar sieht es anders aus. Nina und Bass werden später das Problem lösen.

Da die beiden gegen Mittag an einen anderen Ort müssen, bin ich ab 12 Uhr auf mich alleine gestellt. Ich müsse unbedingt die Insel Goree besuchen, sagt Bass. Die kleine Insel, die zu Sklavenzeiten als Umschlagsplatz genutzt wurde, sei wunderschön. Ich kann dies leider so nicht bestätigen. Tatsächlich hat die Insel ein paar wenige schöne Ecken (die Betonung liegt dabei auf Ecken), aber ansonsten kommt das Wort „wunderschön“ meines Erachtens einer maßlosen Übertreibung gleich. Fast überall auf der Insel stinkt es nach Katzenpisse, das Museum ist ein absoluter Witz und überall liegt Müll herum. Außerdem hat man das Gefühl, dass 90 Prozent der Insel mit Verkaufsbuden zugestellt ist, in denen junge Frauen angeblich selbst produzierte Waren wie Ketten, Tücher und Brustbeutel feilbieten. Diese Damen belagern einen schon auf der Überfahrt zur Insel auf der Fähre. „How are you? What is your name? You have to visit my shop on Goree. My name ist Kenza, please remember me“, zwängen sie jedem Passagier ein Gespräch auf. Was übersetzt soviel bedeutet wie “Mir ist es scheiß egal wie es dir geht und wie du heißt, Hauptsache du kommst in meinen Laden und lässt etwas Kohle da.“ Auf diese Weise lerne ich Mathilde, Fatima, Kenza und Mimi kennen. Fatima, deren Sohn sich schon vor der Abfahrt mit dem Schiff extrem für meine Fotokamera interessiert hat, wird später die Glückliche sein, der ich eine Kette und einen Brustbeutel (brauchte ich sowieso) abkaufe. Eigentlich will sie dafür ja 20.000 Dakar-Francs dafür haben (entspricht etwa 30 Euro), ich kann sie aber auf 5.000 Dakar-Francs (etwa 7,50 Euro) runterhandeln, was wahrscheinlich immer noch zuviel war. Aber irgendwie tat mir ihr Sohn leid. Ich hatte das Gefühl, der jungen Familie mit meinem Kauf etwas Gutes zu tun. Trotzdem nervt mich sehr, dass ich zu jeder Gelegenheit beschissen werden soll. Vor der Überfahrt zur Insel zeigt mir „Aziz“ einen Ausweis, der angeblich beweisen soll, dass er für die Tourismus-Behörde arbeitet. Er behauptet, man müsse auf der Insel eine Art Kurtaxe zahlen, sie betrage 8.000 Dakar-Francs. Er könne aber einen niedrigen Preis heraushandeln, 5.000 Dakar-Francs. Ich rieche den Braten, verzichte dankend auf sein Angebot mich über die Insel zu führen und spare 5.000 Dakar-Francs. Denn, wie vermutet, eine solche Kurtaxe gibt es nicht.

Ich brauchte neues Shampoo und Duschgel, weil ich meines in Lissabon bei Ana liegen gelassen habe. Der Händler will mir dafür umgerechnet rund 30 Euro abknüpfen. Ich mache mir erst gar nicht die Mühe zu verhandeln. Ein kurzes hämisches Lachen, eine 180-Grad-Drehung und weg bin ich. In einem Tankstellen-Shop finde ich dann, was ich brauche – für drei Euro. Und so geht es den ganzen Tag über. Von manchen werde ich so sehr bedrängt, dass ich laut werden muss. Gut, dass ich meine TV-Kamera im Hotel gelassen habe. Sie wäre mir vielleicht zum Verhängnis geworden. Entweder, weil sie vielleicht magisch viele weitere Menschen angezogen hätte oder ich stark in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt gewesen wäre.

Abends sitze ich dann im hoteleigenen Restaurant und bestelle mir von meinen letzten Dakar-Francs einen Fisch mit Pommes und Salat. Was in der Küche noch äußerst gut roch, stellte sich als wahre Katastrophe heraus. Ich habe noch nie einen solch überwürzten Fisch gegessen. Außerdem bezweifle ich stark, dass es sich dabei um einen Rotbarsch gehandelt hat. Wahrscheinlich bin ich wieder beschissen worden.

Bei allen Widrigkeiten (ich könnte hier noch viel mehr erzählen, aber ein bisschen Stoff brauche ich ja auch noch fürs Buch *lach*) muss ich aber doch sagen, dass sich mein Blick für die Wesentlichen Dinge geschärft hat. Ich erinnere mich noch daran, wie ich heute Nachmittag zwei Jungs mit einem ausgedienten Autoreifen habe spielen sehen. Sie hatten dabei sichtlich ihre Freude. Auf den Schotterplätzen spielen die Jugendlichen mit nackten Füßen Fußball. Mir bereitet alleine schon der Gedanke fürchterliche Schmerzen. Hier sind die Mittel begrenzt und es wird doch gelebt. Doch die Armut in diesem Land erschreckt mich sehr. Ich frage mich, wie die Menschen es schaffen, teilweise mit 30 Euro Monatseinkommen auszukommen. Das Benzin kostet kaum weniger als in Deutschland. Lebensmittel sind auch nicht gerade günstig (zumindest die, die ich gesehen habe). Senegal war auf jeden Fall nicht günstig für mich. Zwei Tage Senegal haben mich rund 60 Euro gekostet. Mein Budget habe ich bereits weit überschritten, ich muss jetzt vor allem mit einem Gedanken weiterreisen: „Sparen, sparen, sparen!“

In diesem Sinne einen lieben Gruß aus dem spärlich ausgestatteten Hotelzimmer (diesen Blog werde ich allerdings erst in Johannesburg einpflegen können – Probleme mit dem Internet und andere technische Schwierigkeiten),

Daniel

Hopkins’ Storyhood

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