Der Vampir im Zona Sul

Mrz 3, 2010Allgemein

Normalerweise bin ich es gewohnt, eine neue Sprache recht schnell zu lernen und auch so schnell nicht wieder zu vergessen. So gilt mein Hebräisch zwar nicht unbedingt als “gekonnt”, aber es reicht immerhin, um mit Israelis auf der ganzen Welt ins Gespräch zu kommen. Auch, wenn ich schon seit über 13 Jahren Israel verlassen habe und seitdem fast nie Hebräisch gesprochen habe. Jetzt bin ich schon seit mehr als drei Wochen in Brasilien mit Rita unterwegs und verzweifle ein wenig am Portugiesisch. Und dass, obwohl meine Partnerin eine geduldige Lehrerin ist. Dank meiner mangelhaften Sprachkenntnisse kommt es immer wieder zu außergewöhnlichen Situationen, etwa beim Einkaufen:

“Ich gehe mal eben in den Zona Sul (in etwa vergleichbar mit dem deutschen Edeka-Laden) und besorge uns etwas fürs Abendessen”, sage ich zu Rita und verlasse den Raum. Sie sagt noch was, aber ich verstehe es schon nicht mehr. Der “Zona Sul” liegt nur knapp 300 Meter von Ritas Gebäudekomplex entfernt. Wie auch schon bei Einkäufen in Deutschland gewohnt, schnappe ich mir schnell einen Einkaufswagen und schreite zügig durch die Regalreihen, um den Korb nach und nach mit den Artikeln zu füllen. Sahne, Joghurt, Frühstücksflocken, Gewürzgurken, Bier.

An der Frischtheke muss ich dann die erste Hürde nehmen. “Wie sagt man 300 Gramm Schinken bitte”, fährt es mir durch den Kopf. “Drei” heißt “três”, so weit bin ich mittlerweile im Hobby-Sprachkurs vorangeschritten. Aber was heißt jetzt 300? Ich sage: “Três-Centa Gramma” und zeige mit meinen Fingern auf den Schinken. Und so falsch habe ich mit meiner Bestellung offensichtlich nicht gelegen, denn der junge Mann hinter der Fleischtheke schaut mich zwar mit großen Augen an, wiederholt jedoch: “Trezentos grammas de presunto?” Ich nicke und sage instinktiv “Si”. Es müsste richtig “Sim” heißen… Nun der Käse. Den nennen sie hier komischerweise “Mussarela”, obwohl er nur wenig mit dem eigentlichen Mozzarella gemein hat. Zu gern möchte ich wissen, warum die Brasilianer diesen Käse so nennen.Ich beiße mir aber auf die Zunge, eine Frage dieser Art würde ins Nichts hinauslaufen. Ich spreche nunmal kein Portugiesisch und die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann hinter der Theke Englisch, Französisch, Deutsch oder gar ein bisschen Hebräisch spricht, ist verschwindend gering. Und das ist normal hier.

Erstaunlich wenige Menschen beherrschen die englische Sprache. Und es ist nicht etwa so wie bei den Franzosen, bei denen viele Englisch sprechen, es aber schlichtweg aus verschiedenen Gründen vermeiden. Hier kann es einfach kaum ein Mensch. Für mich nimmt die mit “Händen-und-Füßen”-Sprache einen enorm wichtigen Stellenwert als Besucher dieses Landes ein. Und die beherrsche ich fast perfekt. Dachte ich zumindest.

Den Käse habe ich noch problemlos bekommen, doch an der Salatbar verzweifle ich fast. Ich habe alle Zutaten zusammen. Nur Knoblauch fehlt. Ich stehe sowieso an der Gemüsewaage, an der wieder ein junger Mann freundlich die Waren für die Kunden abwiegt. “Where do I find garlic”, frage ich ihn. Er grinst mich an. Für ihn muss meine Frage in etwa so geklungen haben, wie für mich die Frage eines Inders nach Gewürzen. “Scheiße, der spricht auch kein Englisch.” Was tun. Wie beschreibt man Knoblauch? Ich fange also an, ihn anzuhauchen und mit wedelnden Händen vor meinem Mund einen schlechten Atem zu imitieren. Der Junge Mann grinst noch mehr. Wie kann man Knoblauch noch beschreiben? Mir fällt da nur der Begriff “Vampir” ein. Ich deute mit meinen Fingern auf die Eckzähne, fauche ein bisschen und tue so, als wenn ich mir in die Pulsadern beißen würde. Der Mann an der Waage muss nun herzlich lachen und macht ein Gesicht, als würde er verstehen. Aber nein. Er zuckt dabei mit den Achseln und sagt: “Desculpe!” – “Entschuldigung!” Ich sehe, ich komme hier nicht weiter. Ich bedanke mich höflich und mache mich auf die Suche nach jemanden, der Englisch spricht. Der sechste Kunde kann es. “Do you know where I can find garlic”, frage ich ihn. Er greift in seinen Korb und zeigt mir ein Netz voller Knoblauch-Knollen. Endlich. Der Mann begleitet mich sogar noch ans Regal, wo ich sie finde.

Ihn könnte ich auch ein paar Minuten später noch einmal gebrauchen, als ich auf der Suche nach Schafskäse bin. Doch er scheint den Laden verlassen zu haben. Jetzt könnt ihr euch ja mal bildlich vorstellen, wie ich versuche, einem Brasilianer den Unterschied zwischen Schafs- und Ziegenkäse zu vermitteln. Ich sage “Mööööhhh” statt “Määääähhhh” – oje, was für ein Unterfangen. Als ich endlich den Schafskäse finde, bleibt mir die Spucke weg. Wollen die doch tatsächlich 30 Real (rund 12 Euro) für 200 Gramm haben. Das kann und will ich mir nicht gönnen.

Also kehre ich mit Knoblauch und Ziegenkäse heim. Und mit vielen gefüllten Einkaufstüten. Rita schaut mich erstaunt an. “Warum hast du soviel eingekauft”, fragt sie. “Für die nächsten Tage auch gleich was”, antworte ich. Sie öffnet ihren Mund sekundenlang, um ihrem Erstaunen noch mehr Gewicht zu verleihen und sagt schließlich: “Wir müssen eigentlich nicht selbst einkaufen gehen. In der Miete ist der Einkaufsservice mit einbegriffen. Jede Stunde geht ein Mitarbeiter des Gebäudekomplexes für uns einkaufen. Das habe ich dir doch schon mal erzählt.”

Naja, macht nichts, denke ich mir. So ein Einkauf als “Vampir-” und “Schafs-Imitator” hat schließlich Unterhaltungswert.

In diesem Sinne “Määääähh” und “Fauch”,

euer Daniel

Hopkins’ Storyhood

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