Der gute Geist der Weihnacht in Washington D.C.

Dez 14, 2009Allgemein

In Washington D.C. kommt das erste Mal in diesem Jahr so etwas wie eine vorweihnachtliche Stimmung in mir auf. Ich verbringe die Nacht im Haus von Erin, Allison, Kat, Radu, Mauricio und Cooper. Eine Wohngemeinschaft der besonderen Art. Die sechs jungen Menschen zwischen 25 und 30 Jahren pflegen eine Tradition: Jeden Sonntag überlegt sich ein anderes Mitglied der “Kommune” eine Aktivität, die alle gemeinsam unternehmen. Diesen Sonntag hat sich Erin eine sehr schöne Sache einfallen lassen: Sandwiches für Obdachlose in Washington D.C. zubereiten und sie “Martha’s Tafel”, einer Hilfsorganisation in Washington D.C., zur Verfügung zu stellen.

Der Gedanke, gerade in der Weihnachtszeit notleidenden Menschen etwas Gutes zu tun, gefällt mir sehr (und erinnert mich dabei auch an einen Gastgeber aus Thailand, der mit seiner Frau einem HIV-infizierten Mädchen bis zu ihrem Tod vor wenigen Tagen die Mahlzeiten finanziert hatte). Selbstverständlich biete ich meine Mithilfe an. Und so schmieren wir Brot um Brot mit Marmelade und Erdnussbutter ein. “Immer schön kräftig drauf”, sagt Cooper. “Die Jungs sollen sich richtig an den Sandwiches auslassen können.” Auch beim Aufschnitt – Schwein und Truthahn – sind wir nicht sparsam. In Tüten eingepackt und beschriftet, machen wir uns schließlich mit über 60 Sandwiches auf den Weg zu “Martha’s Table”, ein paar Blocks vom Haus der sechs jungen US-Amerikaner entfernt. 

Mich überrascht das vielfältige Angebot der Hilfsorganisation. “Martha’s Table” ist nicht nur eine “Tafel” im eigentlichen Sinne. In den großen Räumlichkeiten bieten die Verantwortlichen über eine Armentafel hinaus auch einen Kindergarten sowie verschiedene Workshops für Jugendliche an. “Der Grundgedanke vor etwa 30 Jahren war, dass die Kinder von der Straße geholt werden. Damals herrschte hier im Viertel das Chaos”, erklärt uns Zarinah, eine Mitarbeiterin der Organisation, bei einer spontanen Führung durch das Gebäude. Gewalt und Kriminalität hätten damals das Bild des Stadtteils geprägt. In den vergangenen Jahrzehnten habe man das Angebot um die Tafel, um Kleiderkammern und einer Vielzahl an sozialen Projekten erweitert.

Sandwiches können die Mitarbeiter gut gebrauchen. “Die Nachfrage steigt enorm”, erklärt Zarinah. “Letztes Jahr um diese Zeit haben wir etwa 80 Notfallpakete (Essenspakete für Notleidende) herausgegeben. In diesem Monat sind es schon über 320. Also das Vierfache!” Diese Entwicklung sei eindeutig ein Indikator für die derzeit miserable Wirtschaftslage in den USA.

Mein Blick schweift ab, hinüber zu den Fotografien an der Wand. Ich sehe glückliche Kinder mit einem Teller vor sich. Darauf ein Maiskolben, Kartoffelbrei und ein Stück Fleisch. Im Hintergrund klappert es in der Großküche. Freiwillige Köche bereiten eine Suppe für den Abend vor. Ich blicke noch einmal hinauf zum Bild. Sind es diese Kinder, die heute ihre warme Speise von “Martha’s Table” bekommen? Vieleicht lassen sie sich aber auch eines unserer leckeren Sandwiches schmecken…

In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern ein frohe Vorweihnachtszeit und ein gesegnetes Fest!

Daniel

Hopkins’ Storyhood

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