Rita aus Rio…

Dez 18, 2009Allgemein

Ein ehemaliger Kollege hat mir eine Nachricht geschickt: “Daniel, pass gut auf Dich in Rio auf. Besonders wegen der Frauen!” Als ob er geahnt hätte, wem ich unter anderem in der Stadt des Karnevals treffen würde. Aber, wie immer, fangen wir mal von vorne an.

Mein zweiter Gastgeber in Rio heißt Ramon. Als ich bei ihm ankomme, weiß ich sofort, woher der Wind pfeifft, schließlich macht er aus seiner Homosexualität keinen Hehl. Auch nicht aus seiner Sympathie mir gegenüber. Er wohnt in einem Haus, bei dem alle Nachbarn ein sehr freundschaftliches Verhältnis zueinander pflegen. Innerhalb einer Stunde lerne ich ungefähr ein Dutzend neuer Menschen kennen, die den Couchsurfer aus Deutschland gerne kennenlernen möchten.

Seit einer Woche wohnt auch Samia bei Ramon. Die gebürtige Marokkanerin ist mit lediglich 80 Euro nach Rio gekommen und möchte noch einmal “ganz von vorne anfangen und Liebe in die Welt hinaustragen”, wie sie sagt. Geld verdient sich die junge Reisende unter anderem mit “Heiße-Steine-Massagen” (kann mir mal jemand den Fachbegriff nennen? Ist ja ein schreckliches Wort). Nun ja, das Sofa ist besetzt. Da aber alle Nachbarn eh befreundet sind, schlafe ich diese Nach bei Fernanda, die mir bereitwillig eine Schlafstätte zur Verfügung stellt. Doch nicht bevor ich mich an der Küchenwand von Ramon verewigt habe. “Es ist mir eine Ehre, dass ich Dein Gastgeber sein darf”, sagt er. Naja, ein außergewöhnlicher Wunsch. Aber ich komme ihm nach…

Der nächste Tag beschert mir dann das Treffen der besonderen Art. Ihr Name ist Rita und sie wohnt etwas außerhalb von Rio, direkt an der Küste. “Beeil Dich”, sagt sie mir noch am Telefon. “Dann können wir beide noch schnell in den Pool springen und das gute Wetter ausnutzen.” Leider muss ich ihr zunächst einen Korb erteilen, weil ich am Nachmittag (Ortszeit) ins Internet will, um mit meinem Sohn zu korrespondieren. Da dies aber wieder einmal aus diversen Gründen nicht funktioniert, habe ich Zeit um ins kühle Nass zu springen. Das erste Mal genieße ich tatsächlich die freie Zeit. Und dann auch noch in so charmanter Begleitung.

“Heute Abend sind wir auf der Gästeliste eines der berühmtestens Clubs in Rio”, sagt sie mir dann. Ramon hatte mir schon davon erzählt. Ach, ich vergaß. Ramon und Rita sind beste Freunde – daher die Verbindung. Also schwinge ich am Abend tatsächlich auch noch das Tanzbein, obwohl ich am Ende meiner Kräfte bin.

Am nächsten Morgen versucht mich Rita zu überreden: “Bleib doch hier. Ein Tag ist doch viel zu wenig. Wir sollten uns näher kennenlernen!” Ich gebe ihr recht und würde nur allzu gerne eine Ausnahme machen. Aber ich bleibe hart, bleibe beim Prinzip: Jede Nacht ein neuer Gastgeber. Es hat aber auch einen anderen Grund. Schließlich wird Kalina meine nächste Gastgeberin sein. Ich kenne die Brasilianerin aus Deutschland. Und da wir beide zur gleichen Zeit in ihrem Heimatland sind, hat sie mich kurzerhand eingeladen, mit im Hotel zu bleiben. Selbstverständlich möchte ich nicht in letzter Sekunde absagen. Zumal sie eigens aus dem Norden dafür angereist ist.

Kalina und ich erkunden überwiegend zu Fuß Teile Rios und finden dabei viel Zeit für ausführliche Gespräche, bei dem ich sehr viel über Brasilien lerne. Zum Beispiel warum große Käfer (deren Namen ich leider schon wieder vergessen habe) ein schreckliches Geräusch machen – es ist wirklich sehr laut und schrill: “Sie schreien, bis ihnen die alte Haut vom Leib abplatzt”, erklärt mir Kalina. Wow, das nenne ich mal eine Energie.

Außerdem fahren wir mit dem so genannten “Bondinho”, einer kleinen Straßenbahn hinauf nach Santa Teresa. Eine abenteuerliche und nicht unbedingt ungefährliche Fahrt, wenn man nicht gerade auf den Bänken Platz nimmt. Und heute Nachmittag entführt sie mich an den Strand von Flamengo, wo ich mit Einheimischen noch eine Partie “Fußvolleyball” spiele – bis ich mich an einem Hering imSandboden den Fuß verletze.

Kalina ist es auch, die mich auf eine besondere Idee bringt. Zunächst will ich meinen Schlafsack im Hotel lassen, weil ich von meinem Sponsor Bergfreunde.de ohnehin einen neuen Schlafsack geschickt bekomme, aber sie sagt: “Warum verschenkst du ihn nicht auf der Straße?” Gesagt, getan. Wir finden am Strand von Flamengo einen Obdachlosen. Sie fragt ihn, ob er einen Schlafsack gebrauchen könne. Er schaut mich an und sagt: “Hey, meu Tio. Voce caiu do Ceu!”, was soviel heißt wie “Hey, Onkel. Du bist vom Himmel gefallen.” Wir würden wohl eher sagen “Dich schickt der Himmel”. Ich bin den Tränen nahe, sehe ich doch, wie sehr er sich über das unverhoffte Geschenk freut. Wir machen noch ein Erinnerungsfoto (das ich aber an dieser Stelle nicht zeige, weil ich den Mann nicht zur Schau stellen möchte) und ziehe weiter. Was für ein herrlicher letzter Tag in Rio.

Ich habe wieder viele Menschen kennengelernt. Viele werde ich nicht wiedersehen. Andere aber ganz bestimmt. So wie Rita. Irgendwann. “Kommst du bald wieder”, fragt sie mich bei unserem Abschied. Ich denke nach. Brasilien wäre tatsächlich ein idealer Ort, um das Buch dort zu schreiben. “Vielleicht”, sage ich und bin eigentlich in Gedanken schon bei meinem Sohn Liam, den ich so bald nicht noch einmal für 80 Tage nicht um mich haben möchte. Aber wie gesagt, Rita sehe ich wieder. Irgendann, irgendwo.

Besten Gruß vom Flughafen in Rio de Janeiro. Auf meinen Flieger nach Deutschland wartend. Im Flugzeug werde ich sicher Zeit für einen neuen Blogeintrag zum Abschluss dieser Reise haben. Übrigens, Termin für Buchveröffentlichung steht noch nicht fest und dieser Blog wird noch für lange Zeit Bestand haben (@Stange: Also keine Angst, ich habe noch einen Haufen Themen, die ich noch nin der Schublade habe, aber noch nicht wirklich nutzen konnte).

Daniel

Hopkins’ Storyhood

weitere Beiträge

Sein oder Nichtsein, denn sie wissen, was sie tun …

Ein Kommentar, ein Appell ... In wenigen Wochen werde ich das siebte Mal meine Stimme für die Bundestagswahl abgeben. Bisher war meine Wahlentscheidung stets von persönlichen Befindlichkeiten, der Sympathie für einzelne Kandidaten und dem Einfluss meines sozialen...

“Nicht der Nabel der Welt!”

Politiker-Bashing als Instrumentarium des persönlichen Frusts Man fragt sich, ob man weinen oder lachen soll, wenn man in den Gazetten der Republik – ob nun Online oder Print – liest, wie sich einzelne (Hobby-)Kommentatoren über das Krisenmanagement unserer Politiker...

Willkommen im Jahr der Aufklärung und des Respekts

Vorab sei erwähnt, dass es sich bei diesem Beitrag um einen etwas längeren Text handelt. Ich prophezeie folgende Lesezeiten: 8 Minuten (für „normale“ Leser) 25 Minuten (für Leser, die im folgenden Text indirekt oder direkt kritisiert werden und sich überlegen, wie sie...

Da brennt einem glatt die Birne durch …

IKEAs Definition von Service Zack, schon wieder brennt eine Glühbirne durch. Die dritte innerhalb von zwei Wochen. Der Verdacht bei meiner Frau und mir liegt nahe: Es muss am Alter der Standleuchten liegen, die bereits seit über 20 Jahren ihren treuen Dienst erwiesen...

Die Bewährungsprobe der “vierten Gewalt”

Ein Appell an den Qualitätsjournalismus Gerade in Krisenzeiten unterliegt der Journalismus einer Bewährungsprobe. Insbesondere für den gewissenhaften Journalisten gilt umso mehr: Die Berichterstattung sollte ausgewogen, unparteilich und objektiv sein. Jeder...

So fern. Und doch so nah.

Die Amerikanisierung als Hoffnungsanker Mit der offiziellen Amtseinführung des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hofft nicht nur die Mehrheit der US-Bürger auf eine deutliche Verbesserung der innenpolitischen und wirtschaftlichen Lage. Die ganze Welt...

Flucht aus der Realität – Stolperfallen unserer Meinungsfreiheit

Unser Land befindet sich in einer gesellschaftspolitischen und sozialen Krise. Das Coronavirus und die mit ihm einhergehenden Einschränkungen des täglichen Lebens rufen vielerorts Demagogen aller Couleur auf den Plan. Die vorherrschende Situation scheint sich als...

“Das Buch ist schwerer als mein iPad”

Spontaneität gehört zu meinen Stärken (und zuweilen auch Schwächen). Und für Menschen, die ebenso ticken wie ich, hege ich eine gewisse Sympathie. Dies darf durchaus auch als Kompliment für meinen Couchgesprächspartner Masoud Kamali verstanden werden. Denn den...

Holt mich auf die Couch!

Schon mal vorab: So ein Couchgespräch, wie ich es jüngst mit Enie durchgeführt habe, bedeutet doch schon einen kleinen Aufwand. Mit kurzer Vorbesprechung, Anreise, eigentlichem Couchgespräch und Nachbereitung sind mal schnell zwei Tage verplant. Und da ich dieses...

Enie van de Meiklokjes – weder schräg noch schrill!

Vor einigen Wochen berichtete ich von meiner neuen Idee, mit der ich den Blog mit neuen interessanten Inhalten füllen möchte: die Couchgespräche. Nun ist es endlich soweit. Der erste Bericht steht (sozusagen zum "Warm werden"). Und wie es der Zufall will, durfte ich...

Phils Weltreise-Gepäcktipps

"Pack' die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein...", forderte die kleine Conny Froboess vor genau 60 Jahren im gleichnamigen Lied auf. Doch in diesem Blogbeitrag geht es dieses Mal nicht um einen Ausflug zum Strandbad Wannsee, sondern um die ganz großen...

Der Couchhopper in der HAZ

Sozusagen frisch aus der Druckerpresse: Heute erreichte mich ein Link von der HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung). Er führte mich zu einem echt lesenswerten Artikel von Ann-Kathrin Seidel. Nicht nur, weil ich darin auch erwähnt werde - aber auch deswegen. Vor...